Franz Liszt. Ein Europäer
Franz Liszt - Ein Superstar am europäischen Musikhimmel
Mit scheinbar virtuoser Leichtigkeit erklimmt Liszt den Gipfel seines pianistischen Weltruhmes. Er ist der Fixstern am musikalischen Himmel Europas. Das einstige Wunderkind aus den Weiten Ungarns, ein zweiter Mozart, betritt unter brausendem Jubel das Konzertpodium Europas, reist – zumeist mit der Postkutsche – quer über den Kontinent: von Paris bis Petersburg, von Kopenhagen bis Konstantinopel, von London bis Lissabon, durch Metropolen und hinein in die Provinzen. Und überall entfacht das Feuer seines Klavierspiels die Gemüter der Menschen. In Berlin erkrankt man 1841/42 gar an einer ausnehmend neurotischen Form der Starverehrung, einer „Lisztomania“.
“Wie bei der ‘Huldigung’ war der Schloßplatz, die Königsstraße usw. mit Menschen gefüllt, welche Liszts Abfahrt sehen wollten; bis nach Friedrichsfelde war alles voll Wagen und Fußgänger. Tausendstimmiger Leberuf erschallte... Man sagt, der Hof und Adel sei außer sich, daß ein Musikant wie ein König geehrt werde, ja für den Augenblick diesen verdunkle.” Berlin 1842
Von den ersten Studien bis zur Perfektion
Erste Studien im Klavierspiel führen den kleinen Franz 1822 zum Beethovenschüler Carl Czerny nach Wien, gleichzeitig unterweist ihn ein anderer in der Musiktheorie, Mozarts einstiger Rivale Antonio Salieri. Im Jahr 1823 wird der kleine Liszt dem großen Beethoven vorgestellt, wobei er vielleicht tatsächlich den legendären Weihekuss des Künstlers empfangen haben könnte. Und der Vater wandelt mit dem Sohn weiter auf den Spuren der Mozarts und geht mit ihm nach Paris, wo der berühmte Cherubini dem Ausländer Liszt die Aufnahme ins Konservatorium verweigert. Fortan perfektioniert sich der kleine Klavierspieler im Selbststudium, neben theoretischen Unterweisungen durch Antonín Reicha und Ferdinando Paër. Paris feiert "le petit litz", sein „neuntes Weltwunder“, das sich unversehens als vielumworbener Mittelpunkt des musikalischen Pariser Lebens wiederfindet.
Über ein erstes öffentliches Konzert schreibt eine Pariser Zeitung: "Orpheus rührte die Tiere des Waldes und bewegte die Steine, aber "le petit litz" rührte das Orchester, dass es verstummte." Vor Staunen hatten in einem Klavierkonzert die Orchestermusiker ihren Einsatz schlichtweg verpasst.
Gefeierte Konzertreisen und neuer Schaffensdrang
Ausgedehnte und gefeierte Konzertreisen führen die Liszts durch England, Frankreich und die Schweiz. Doch der baldige Tod des Vaters 1827 unterbricht den Siegeszug des Wunderkindes. Liszt zieht sich zurück, erwägt Priester zu werden. Im Oktober 1828 vermeldet "Le Corsaire", der junge Virtuose habe anscheinend das Zeitliche gesegnet. Doch er lebt – die Julirevolution des Jahres 1830 rüttelt den jungen Liszt auf zu neuem Schaffensdrang. Und er macht künstlerische Erfahrungen, die einen neuen Musiker, ja einen neuen Menschen aus ihm werden lassen. Da ist einerseits die Begegnung mit der zukunftsschwangeren Musik des jungen Berlioz, dessen Streben man nicht so recht verstehen will, und seiner 1830 uraufgeführten "Symphonie fantastique". Ein weiteres Schlüsselerlebnis wird die Erscheinung des legendären Teufelsgeigers Paganini, der wiederum die ihm maßkomponierte "Harold-Symphonie" des ersteren bis kurz vor seinem Tod nicht wird verstehen können wollen. Doch Liszts Antennen empfangen die unerhörten Klänge beider, unermüdlich vervollkommnet er die eigene Technik, verschlingt zudem förmlich die Weltliteratur. Er weiß nun, Virtuosität darf nicht mehr Selbstzweck sein, sondern nur noch Mittel: allein zu dem Zweck, musikalischen Ausdruck zu intensivieren. Denn Musik habe insbesondere eine ästhetische Botschaft – und auch eine poetische!
"Seit 15 Tagen arbeiten mein Geist und meine Finger wie zwei Verdammte – Homer, die Bibel, Platon, Locke, Byron, Hugo, Lamartine, Chateaubriand, Beethoven, Bach, Hummel, Mozart, Weber sind alle um mich herum. Ich studiere sie, betrachte sie, verschlinge sie mit Feuereifer; überdies arbeite ich 4 bis 5 Stunden an Übungen (Terzen, Sexten, Oktaven, Tremolos, Repetitionen, Kadenzen, etc. etc.) Ach! Sollte ich nicht verrückt werden, wirst Du einen Künstler in mir wiederfinden! Ja, einen Künstler, einen wie Du ihn wünschst, einen, wie man ihn heutzutage braucht!"
Liszt an einen Freund
Paris: Bühne für künstlerische Entfaltung
In den Pariser Salons, gleichsam Herzstück des gesellschaftlichen Lebens, die sowohl Raum für intellektuelle Gespräche und hohe Politik boten wie auch eine Bühne für künstlerische Entfaltung, knüpfte Liszt Kontakte zu vielen Großen nicht nur des französischen Geisteslebens: Honoré de Balzac, François René de Chateaubriand, Alexandre Dumas, Théophile Gautier, Émile de Girardin, Heinrich Heine, Victor Hugo, Alphonse de Lamartine, George Sand u. v. a., zu Kritikern und Philosophen, zu den Malern Eugène Delacroix, Ary Sheffer, den Komponisten Vincenzo Bellini, Jacques François Fromental Halévy, Ferdinand Hiller, Felix Mendelssohn Bartholdy, Giacomo Meyerbeer und Gioachino Rossini, und nicht zuletzt traf er hier den besonders verehrten Frédéric Chopin.
Liszt wird einer der bekanntesten Männer Europas
Gemeinsam mit der Gräfin Marie d’Agoult siedelt Liszt ins schweizerische Genf über und widmet sich zunehmend auch der Komposition und Musikschriftstellerei.
Doch bald hat ein weiteres Kapitel seines Lebens begonnen: ein knappes Jahrzehnt begibt Franz Liszt sich auf Virtuosenreisen, 1839 bis 1847, bevor er sich in Weimar vorerst niederlassen soll. Seine Konzertreisen führen ihn nun durch fast alle Länder des Kontinents. Er etabliert eine neue Form des solistischen Konzerts: das Piano-Recital, das er ganz allein bestreitet – sein Repertoire reicht dabei von Bach über Beethoven, Hummel, Weber und Chopin bis zu zahlreichen eigenen Kompositionen, zu Transkriptionen von Liedern, Paraphrasen von Opern, Improvisationen, auch über Volkslieder. Liszt wird einer der bekanntesten Männer Europas. In Ungarn huldigt ihm das Volk wie einem ungekrönten König. Sein österreichischer Reisepass von 1840 vermerkt dazu nur lakonisch: "Celebritate sua sat notus est", d. h. sein reger Verkehr ist hinreichend bekannt. Es wäre überflüssig, wohl unmöglich, alle Stationen auflisten zu wollen. Sogar die kaiserlich-königliche Bürokratie zieht resignierend, aber eben doch, ihren Hut vor Europas Superstar.
"Es ist schon zwei Stunden her, seit ich den Saal verließ, und noch immer bin ich ganz außer mir. Wo bin ich? Träume ich, oder bin ich verzaubert? Wie glücklich sind wir, daß wir im Jahre 1842 leben, zur selben Zeit wie solch ein Künstler! Wie glücklich sind wir, in der Tat, daß wir den Vorzug hatten, ihn zu hören! ... Welches Fest war es! Wie so ganz anders sieht Gottes Welt heute aus! Und all dies ist das Werk eines Mannes und seines Spiels! Welche Kraft hat doch die Musik! Ich kann meine Gedanken nicht sammeln - mein ganzes Wesen ist in einem Zustand abnormaler Spannung, verhaltenen Entzückens!" Wladimir Stassow